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Sunrise At The Baltic Sea

von Uwe Heimburger

Ein wunderschöner früher Morgen an der Ostsee. Genau passend für das von mir geplante Zeitraffer-Video eines Sonnenaufgangs. Mit Intervall-Aufnahmen möchte ich die Basis zur Produktion eines Zeitraffer-Videos mit hoher Bildqualität legen.

 

In diesem Beitrag beschreibe ich wesentliche Aspekte der Aufnahme-Session und die besonderen Herausforderungen der Bearbeitung einer Bilderserie eines Nacht-zu-Tag-Übergangs mit Ziel Zeitraffer-Video.

Das Thema Bildkomposition spreche ich nicht an, denn darüber lassen sich ganze Bücher schreiben.

Zum Teil verwende ich in diesem Artikel gängige englisch-sprachige Bezeichnungen und Abkürzungen und referenziere auf umfassende Begriffserläuterungen im Internet. Interessierten wünsche ich eine interessante und spannende Lektüre.

Das fertige Video ist in Youtube unter dem englisch-sprachigen Titel Sunrise at the Baltic Sea zu finden.

Aufnahme-Session

Ich errichte mein Stativ, montiere meine digitale Pentax Spiegelreflex-Kamera, wähle den Bildausschnitt und fokussiere die Optik.

Um einen grossen Aufnahmewinkel zu erhalten verwende ich eine Brennweite von 12mm. Die 15 Megapixel der Pentax K-1 im Modus APS-C sind ausreichend, um aus der Aufnahmeserie ein Zeitraffervideo bis zur Grösse 4K (3840 x 2160 Pixel) zu produzieren. Gleichzeitig besteht deutlich geringerer Speicherplatzbedarf als mit 36 Megapixeln im Vollformat.

Wie immer nehme ich im Raw-Format auf. Dies ermöglicht mir bei fixiertem Weissabgleich die sich im Laufe der aufgehenden Sonne deutlich verändernde Farbtemperatur ohne Verluste in der Raw-Entwicklung zu rekonstruieren.

Wegen der vom Anfang bis zum Ende der Session zu erwartenden extremen Helligkeitsunterschiede während des Nacht-zu-Tag-Übergangs werde ich ISO-Empfindlichkeit, Aufnahmezeit und sogar die Blende während der Aufnahme-Session manuell anpassen müssen - Fachjargon manuelles 3-Wege-Ramping. Ich arbeite im Programm Manuell. 

Weitere Einstellungen: LiveView-Betrieb mit Histogramm-Anzeige, 1s Anzeige des Review-Bilds nach Aufnahme, Electronic Shutter (ES), Shake Reduction (SR) deaktiviert, Rauschreduzierung bei langen Verschlusszeiten aktiviert. Verzicht auf den Einsatz eines Graufilters oder anderer Filter.

Die Session wird ca. 85 Minuten dauern. Belichtungskontrolle erfolgt über das Histogramm der zuletzt durchgeführten Aufnahme. Eine potenzielle Änderung der Belichtung der darauf folgenden Aufnahme nehme ich entsprechend ETTR-Technik (Exposure To The Right) vor.

Die Intervall-Aufnahmen steuere ich über einen externen Timer, Intervallzeit 8 Sekunden.

Diese Intervallzeit passt zu der herrschenden langsamen Wolkenbewegung, und technisch wird es keine Probleme mit kamera-internen Verarbeitungszeiten (Schwarzzeit) geben - selbst dann nicht, wenn die Kamera auf Arbeiten mit Schwarzbild eingestellt ist (Rauschreduzierung bei langer Verschlusszeit / Slow Shutter Speed NR).

Tageszeit-Abschnitte und Aufnahme-Session

Obenstehende Grafik zeigt die Zeitabschnitte des Tages, in denen die Intervall-Aufnahmen entstanden.

Die Angaben stammen aus der App TPE (The Photographer's Ephemeris). Links des Sonnenaufgangs (Sunrise) liegt der Abschnitt der Dämmerung (Twilight), zu der Nautische und Zivile Dämmerung zählen. In diesen Abschnitten liegt die für viele Fotografen attraktive Blaue Stunde (Blue Hour). Nach Sonnenaufgang erblicken wir das freundliche weiche Licht der Goldenden Stunde (Golden Hour).

Die Intervall-Session deckt alle genannten Zeitabschnitte mindestens teilweise ab.

Mein Testbild mache ich mit ISO 1600, 1/20s, f/4 um 05:49:43 Uhr. Die Parameter stelle ich manuell so ein, dass mir der Kamera-Monitor ungefähr das zeigt, was ich real sehe.

Daraufhin nehme ich eine Parameter-Korrektur im Sinne ETTR vor. Dies führt dazu, dass die Bilder zu hell erscheinen, enthalten jedoch insbesondere in den Tiefen ein Optimum an Details. In der späteren Bildbearbeitung werde ich die erhöhte Helligkeit kompensieren.

Ich starte die Intervall-Aufnahmen mit ISO 800, Blende f/5.6 und 2s Belichtungszeit. Anpassungen nehme ich in Drittelstufen vor. Dabei beginne ich mit der Reduktion ISO-Empfindlichkeit, dann folgt die Verkürzung der Belichtungszeit und zuletzt die mit Erhöhung der Blendenzahl.

An meiner Kamera belegen ISO, Belichtungszeit und Blende jeweils ein Einstellrad. Jede 1/3-Stufen-Änderung bedeutet einen Klick bzw. einmaliges Rasten des Einstellrads und ist daher schnell und ohne grosse Risiken vollzogen. Ich muss lediglich darauf achten, dass ich in die richtige Richtung drehe.

Am Ende der Aufnahme-Session sind es 640 Aufnahmen mit variierenden Belichtungsparametern, die es digital zu entwickeln und zu einem Video weiterzuverarbeiten gilt.

Den natürlichen Klang der Umgebung nehme ich parallel mit meinem Sound-Rekorder Tascam DR-40 auf.

Fotografische Herausforderungen des Nacht-zu-Tag-Übergangs

Helligkeit

Zur Bearbeitung der Bilder ist eine Referenz des Helligkeitsverlaufs während der Session hilfreich.

Den Helligkeitswert einer Aufnahme können wir auf Basis der Aufnahmeparameter ISO, Zeit und Blende ermitteln. Dieser Wert wird Lichtwert (LW) genannt, bzw. engl. Exposure Value (EV). Dies ist ein relativer Wert basierend auf dem sog. APEX-Belichtungssystem. Es liefert die Basis zum Rechnen mit ISO, Zeit und Blende. Oft wird umgangssprachlich beim Rechnen vereinfachend nur von Blendenstufen gesprochen (1 EV = 1 Blendenstufe).

Der Lichtwert macht keine direkte Aussage über die Beleuchtungsstärke wie z.B. die Einheit Lux. Aber das benötigen wir im vorliegenden Anwendungsfall auch nicht. Die relative Maßeinheit genügt für die Darstellung des Helligkeitsverlaufs.

Folgendes Diagramm zeigt den Verlauf während meiner Aufnahme-Session. Korrekturen der Bilderbearbeitung sind hier nicht berücksichtigt. Deutlich zu erkennen ist eine im Zeitverlauf von links nach rechts fast linear steigende Kurve.

EV-Verlauf auf Basis der Aufnahmeparameter ISO, Zeit und Blende

Die Sprünge zeigen meine manuellen Anpassungen von ISO, Zeit und Blende (3-Wege-Ramping), um die Ausrichtung der Helligkeitsverteilung der Bilder am rechten Histogramm-Rand zu erreichen (ETTR-Technik).

Jede Stufe steht für Aufnahmen mit denselben Belichtungsparametern. Für einen perfekten Helligkeitsverlauf sind nach jedem Sprung jeweils EV-Korrekturen für die Folgeaufnahmen zu interpolieren und in der Bildbearbeitung umzusetzen. Danach weist die Kurve keine Helligkeitssprünge mehr auf. Sie verläuft stetig. Im Video wird dies durch ultrasanfte realistisch wirkende Helligkeitsübergänge sichtbar.

Die Anzahl der Sprünge verdeutlicht den recht arbeitsintensiven Prozess. Kurz - permanente Aufmerksamkeit ist während der Aufnahme-Session gefordert.

Zeitaufwändige Aktivitäten parallel zu den Intervallaufnahmen erscheinen mir gefährlich. Denn versäume ich es, einen Parameter bei Sonnenaufgängen rechtzeitig anzupassen, führt dies schnell zu unschönen ausfressenden Lichtern. Solche Fehler sind in der Bildbearbeitung nicht korrigierbar.

Bei Sonnenuntergängen führt eine solche Unaufmerksamkeit lediglich zur Unterbelichtung der betreffenden Bilder. Beim Fotografieren im Raw-Format mit guten Kameras ist das ein geringeres Problem. Durch Anpassung der Belichtung können abhängig von der verwendeten Kamera relativ grosse EV-Korrekturen ohne allzu negative Folgen in der Bildbearbeitung vorgenommen werden.

Meine Berechnungen auf Basis der originären Belichtungsparameter und nachgelagerten EV-Korrekturen der Aufnahmen meiner Session zeigen, dass die Aufnahmen insgesamt einen EV-Bereich von ca. 17 Blendenstufen abdecken.

Farbtemperatur

Neben der Helligkeit ändert sich die von uns wahrgenommene Farbe des Lichts im Laufe eines Tag-zu-Nacht-Übergangs deutlich.

Je nach Stand der Sonne bricht das Licht verschiedener Wellenlängen unterschiedlich stark an der Erdatmosphäre. Es entsteht Streulicht unterschiedlicher Farbe.

Dieses Verhalten gilt es in der Bildbearbeitung nachzubilden - von Blau bis Rötlich-Gelb.

Dabei ist es wichtig, alle Aufnahmen der Bilder-Serie mit demselben Weissabgleich durchzuführen. Dieser Referenzwert erlaubt es, den Verlauf der Farbtemperatur (Color Temperature) in der Bildbearbeitung anhand bekannter Regeln konsistent nachzubilden.

Zu Beginn der Aufnahme-Session teste ich verschiedene Einstellungen für den Weissabgleich. Der Weissabgleich "Schatten" an meiner Kamera zeigt ein Bild am Kameramonitor, das meiner Wahrnehmung am nächsten kommt.

Daher wähle ich diesen Weissabgleich als Referenz für die spätere Bildbearbeitung. Capture One wird mir eine Farbtemperatur von 7872K (K = Kelvin) für meine Bilder anzeigen.

Am farb-kalibrierten Monitor erkenne ich während der Bildbearbeitung, dass die Aufnahme-Einstellung nicht ganz passt. Ich reduziere die Farbtemperatur entsprechend meiner Vorstellung auf 6089K. Auch weiteren Bilder bearbeite ich entsprechend bis hin zum letzten. Das 640. Bild besitzt die Farbtemperatur 4350K.

Im Verlauf des später generierten Zeitraffer-Videos entsteht dadurch die bereits beschriebene realistische sanfte Verschiebung von Blau zu Rötlich-Gelb.

Sehen - Mensch versus Kamera

Teilweise herrscht die Ansicht, dass eine Kamera ein objektives korrektes Bild erzeugt, das unserer Wahrnehmung entspricht. Ich versuche zu erklären, warum dem nicht so ist und warum mir diese Erkenntnis wichtig scheint - für Einzelaufnahmen als auch Bilder-Serien!

Unsere Augen sind das Sinnesorgan, das uns Sehen ermöglicht. Verantwortlich dafür sind Fotorezeptoren, Stäbchen (engl. rods) und Zapfen (engl. cones).

Während Stäbchen die Netzhaut unseres Auges in hoher Zahl und Dichte "besiedeln", kommen Zapfen in drei Varianten und in deutlich geringerer Zahl vor.

Stäbchen sind sehr helligkeitsempfindlich, die Zapfenarten reagieren auf elektromagnetische Strahlung entweder im roten, grünen oder blauen Bereich. Sie sind nur gering helligkeitsempfindlich. Unser Gehirn interpretiert die verschiedenen vom Auge empfangenen Signale und "ermittelt" daraus eine Farbe mit bestimmter Helligkeit.

Es hängt von der Helligkeit ab, wie farbig wir unsere Umwelt wahrnehmen. Je dunkler es ist, desto grauer, da die Farbrezeptoren erst ab einer bestimmten Helligkeit "anspringen" und "Farbsignale" an unser Gehirn senden. Wird das erforderliche Level nicht erreicht senden nur die Stäbchen.

Eine Digitalkamera verwendet meist einen Sensor mit Fotozellen, die nur Helligkeitsstufen bzw. Grautöne wahrnehmen können. Farbfähigkeit erhalten sie durch vorgeschaltete Filter in den Farben Rot, Grün und Blau. Diese Farbfilter sind nach einem bestimmten Muster angeordnet - dem Bayer-Pattern. Dieser Sensortyp heisst Bayer-Sensor.

Bei der Aufnahme werden alle Fotozellen ausgelesen und die Daten durch Software, dem Raw-Konverter, auf Basis des Bayer-Pattern interpretiert und in ein technisch definiertes RGB-Farbmodell (Rot-Grün-Blau) mit vielen möglichen Farbabstufungen interpoliert. Die Anzahl der möglichen Farb- und Helligkeitsabstufungen hängt von der sog. Bittiefe des Sensors ab.

Mit dem RGB-Farbmodell werden letztlich die Fähigkeiten nachgebildet, die unser Gehirn besitzt, Farben zu interpretieren und zu unterscheiden. Die Interpretation der Kamera entspricht nicht genau unserer menschlichen - und umgekehrt.

Dies liegt an diversen technischen Unzulänglichkeiten der Kamera-Software-Objektiv-Kombi und unseren biologischen Auge-Hirn-Restriktionen.

Insbesondere basiert, wie wir schon einige Zeit wissen, die Interpretation unserer Auge-Hirn-Kombi nicht auf einem einzelnen Bild, sondern sie entsteht aus vielen konstrast-gesteuerten Wahrnehmungen, die in Summe einen extrem hohen Helligkeitsdynamikumfang abdecken. Darüber hinaus besitzen wir zwei Augen, deren zusammengesetzte Bilder miteinander kombiniert werden.

Soll das Bild einer Kamera halbwegs dem entsprechen, was wir tatsächlich sehen bzw. wahrgenommen haben, müssen wir in der Bildbearbeitung nacharbeiten. Unsere Wahrnehmung ist allerdings immer subjektiv und zusätzlich von anderen Eindrücken, Erfahrungen und Mustern geprägt. In der Bildbearbeitung spielen daneben oft auch künstlerische Aspekte eine wesentliche Rolle.

Als ambitionierte Fotografen werden wir neben Helligkeit und Weissabgleich daher auch Tiefen, Mitten und Lichter der Aufnahmen anpassen, Kontraste verändern, Farbsättigung und unerwünschte Farbstiche bearbeiten, oft nur lokal, d.h. auf bestimmte Bildbereiche begrenzt und uvm. - alles mit dem Ziel dem Betrachter unsere Botschaften ohne negative Einflüsse visuell zu vermitteln.

Raw-Konvertierung und Bildbearbeitung - Zusammenfassung

In den Kapiteln Helligkeit, Farb-Temperatur und Sehen - Mensch versus Kamera habe ich die aus meiner Sicht wesentlichen Pfeiler zur Umsetzung eines guten Zeitraffer-Videos mit Nacht-zu-Tag-Übergang beschrieben.

In der Raw-Konvertierung und Bildbearbeitung sind die beschriebenen Bearbeitungsschritte umzusetzen. Das macht schon ein wenig Arbeit. Dafür bekommen wir ein qualitativ sehr hochwertiges Zeitraffer-Video, das es zu zeigen lohnt.

Wesentliche Bearbeitungen mit Blick auf die gesamte Bilder-Serie:

  • Beschnitt auf das Seitenverhältnis 16:9 (für ein FullHD Zeitraffer-Video)
  • Bearbeitung Sensorflecken und Objektivfehler
  • Anpassung der Belichtung / Helligkeit (EV) an Referenzkurve "Helligkeit" (EV)
  • Anpassung der Farbtemperatur (Kelvin) an natürliche Gegebenheiten
  • Bearbeitung der Zeichnung in den Lichtern
  • Kontrast
  • Sättigung
  • Schärfung
  • Export im Zielformat 1920 x 1080 Pixel (FullHD)

Video-Produktion

Die 640 Intervall-Aufnahmen der Aufnahme-Session entwickle ich im Raw-Konverter (s.o.), generiere ein entflackertes Video mit 25 Bildern pro Sekunde (25 fps - frames per second) aus den FullHD-Einzelbildern und bette das Zeitraffer-Video anschliessend zwischen Intro und Outro. Anschliessend füge ich dem Video Metadaten und einen Abschnitt der originalen Sound-Aufnahme hinzu.

Eingesetzte Software

  • Exiftool: Aufnahmeparameter der Bildersequenz als csv-Datei bereitstellen
  • Apple Numbers: Helligkeitsverlauf in Form von EV-Werten aus den Aufnahmeparametern der Bildersequenz berechnen (=EV-Referenz)
  • Capture One Pro: Raw-Aufnahmen konvertieren, unter Berücksichtigung der EV-Referenz bearbeiten und als Bilder exportieren
  • TLDF (Timelapse Deflicker): Bildfolge entflackern und Zeitraffer-Video erzeugen
  • Fotomagico Pro: Video mit Infos und Diashow-Effekten ergänzen
  • Cubase Pro: Original-Sound bearbeiten und ins Video integrieren
  • Exiftool: Video-Metadaten ergänzen

Veröffentlichtes Video

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