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Notizen zur Langzeitbelichtung
von Uwe Heimburger
Haben Sie schon mal Langzeitbelichtungen gesehen? Bewegung wird durch Wischeffekte sichtbar, Objekte verschwinden, Bewegung beruhigt. So können wir als Fotograf spezielle Botschaften vermitteln. Allerdings sind da ein paar Rahmenbedingungen zu beachten. Mit der Technik zur Langzeitaufnahme befasse ich mich in diesem Beitrag.
Moment-Aufnahme und Langzeitbelichtung
Mit den drei folgenden Bildern möchte ich die Wirkung verlängerter Aufnahmezeiten zeigen. Die Aufnahmen "Gefangen im Strom" entstanden 2012 in der Nähe von Ischgl, Österreich, am schnell fließenden Fluss Trisanna.
Aufnahme 1: Pentax K-5, 210mm, ISO 80, 1/250, f/2.8
Spritzende Tropfen sind im Bild eingefroren, die Unruhe des schäumenden Wassers wird sichtbar.
Die Wirkung eingefrorener Tropfen hätte ich durch Verkürzung der Belichtungszeit verstärken können. Allerdings nicht über die weitere Öffnung der Blende, denn diese war bereits voll geöffnet. Eine Erhöhung der ISO-Einstellung wäre die richtige Wahl gewesen. Bei ausreichend Licht stellt Bildrauschen bei erhöhten ISO-Einstellungen mit der Pentax K-5 kein Problem dar.
Aufnahme 2: Pentax K-5, 210mm, ISO 80, 0.5 Sek. , f/14
Die lange Aufnahmezeit entstand durch Schließen der Blende. Leider wird bei der APS-C-Kamera ab ca. Blende 11 Beugungsunschärfe sichtbar. Kein Problem für die "bewegten" Bildbereiche, für die scharf abzubildenden feststehenden Objekte schon.
Wasserfluss und Gischt sind erkennbar, einzelne Tropfen nicht mehr identifizierbar, sie lösen sich in der Zeit auf, sie "verschwinden".
Aufnahme 3: Pentax K-5, 210mm, ISO 80, 2 Sek. , f/22, Polfilter
Die lange Aufnahmezeit entstand durch Schließen der Blende und Einsatz eines Polfilters. Er verlängert die Aufnahmezeit um 2-4 Blendenstufen. Die auf 22 erhöhte Blende führt im Vergleich zu Aufnahme 2 zu weiter erhöhter Beugungsunschärfe. Leider stand mir zu diesem Zeitpunkt kein Neutraldichtefilter bzw. Graufilter zur Verlängerung der Aufnahmezeit zur Verfügung. Ein Polfilter hilft in Grenzen.
Der Fluss löst sich langsam in sanfte Nebelbewegung auf. Dadurch entsteht ein Eindruck von Ruhe.
Je nachdem, welche Wirkung ich als Fotograf erzielen möchte, wähle ich die Art der Aufnahmetechnik.
Kurze Belichtungszeiten erreiche ich durch Offenblende und Erhöhung der ISO-Zahl. Lange Belichtungszeiten durch Erhöhung der Blendenzahl bzw. Schliessen der Blende und Einsatz von Pol- und Neutraldichtefilter.
Im folgenden Kapitel gehe ich in knappen Ausführungen auf die Arbeitsschritte bei einer Langzeitbelichtung ein, gefolgt von Informationen zum Einsatz von Neutraldichte- und Polfiltern. Der Beitrag wird abgerundet durch ein Berechnungsbeispiel zur Umsetzung der Zielbelichtungszeit.
Ausführung
- Im strahlenden Sonnenschein eine Schirmmütze als Blendschutz beim Blick durch den Sucher nutzen.
- Kamera auf Stativ befestigen.
- Fernauslöser an Kamera anschliessen. Dies verhindert Verwacklung durch Betätigen des Kamera-Auslösers. Ausserdem wird bei der Pentax K-5 damit auch der Bildstabilisator deaktiviert. Kein Problem, da Aufnahme mittels Stativ.
- Mirror Up (MUP) im Menü einstellen (Pentax K-5 "Obere Wippe"). Dies verhindert, dass der Spiegelschlag der Spiegelreflexkamera zu Verwacklungsunschärfe führt.
- Aufnahmeformat Raw wählen. Damit werden Qualitätsverluste in der Bildnachbearbeitung vermieden.
- Niedrigsten ISO-Wert einstellen. Bei Pentax K-5 ISO 80.
- Belichtungsprogramm Av einstellen.
- Bildausschnitt festlegen.
- Gewünschte Blende (Schärfentiefe) wählen. Die für die Belichtungssituation benötigte Zeit wird automatisch berechnet.
- Belichtungsprogramm M einstellen. Blende und Belichtungszeit aus Belichtungsprogramm Av übernehmen.
- Zielbelichtungszeit notieren (Erfahrung sammeln!).
- Sofern gewünschte Zielbelichtungszeit kleiner gleich 30 Sekunden, an Kamera einstellen.
- Falls Zielbelichtungszeit grösser 30 Sekunden, in Belichtungsprogramm Bulb wechseln. In diesem Fall ist die Belichtung manuell zu beenden. Ein programmierbarer Fernauslöser ist im Vergleich zu einem rein "mechanischen" die deutlich elegantere Lösung.
-
Erforderlichen Verlängerungsfaktor berechnen - Rechenbeispiel siehe untenstehendes Kapitel.
- In Abhängigkeit des für die Aufnahme erforderlichen Verlängerungsfaktors Neutraldichtefilter mit erforderlichem Blendenfaktor (Belichtungszeitverlängerung) wählen und am Objektiv anbringen. Ggf. mehrere Filter kombinieren. Wenn z.B. nur ein Filter mit Verlängerung von 6 Blenden und ein zweiter mit 4 Blenden zur Verfügung steht, dann diese verwenden.
- Belichtung mittels Variation von Blende und/oder ISO-Einstellung an der Kamera feinjustieren (siehe Beispiel in nachfolgendem Abschnitt).
- Sucher abdecken, damit kein Steulicht ins Kameragehäuse gelangt.
- Aufnahme per Fernauslöser auslösen: die erste Auslösung klappt den Spiegel hoch, die zweite triggert den Kameraverschluss. Bei Aufnahme ohne Timer im Belichtungsprogramm Bulb die Aufnahme nach erreichter Zielbelichtungszeit abbrechen.
- Sollte sich die Beleuchtung während der Aufnahme deutlich ändern, die Aufnahme "geeignet" verlängern oder verkürzen. Um wieviel, ist Erfahrungssache.
Neutraldichtefilter
Eine Verlängerung der Belichtungszeit bei korrekter Belichtung ohne Veränderung von Blenden- und ISO-Wert kann durch Grau- bzw. Neutraldichtefilter erreicht werden. Feinjustierung ist über Änderung der Blende oder ISO-Einstellung möglich.
Die Lichtdurchlässigkeit, d.h. die Dichte von Neutraldichtefiltern wird als logarithmischer Wert angegeben. Die Logarithmik der Filterdichte erlaubt eine lineare Darstellung.
So steht die Filterdichte 0.3 für 50% Lichtdurchlässigkeit. Jede weitere Erhöhung der Dichte um 0.3 Einheiten bedeutet eine stufenweise Halbierung der Lichtdurchlässigkeit um eine Blendenstufe bzw. um ein EV (Exposure Value). Diese Systematik passt perfekt zur Normierung von Blende, Zeit und ISO via rechnerischem EV und kann daher direkt in die einfachen Berechnungen einbezogen werden.
Der Belichtungszeitverlängerungsfaktor, kurz Verlängerungsfaktor, von Neutraldichtefiltern folgt der Gesetzmässigkeit Verlängerung = 2^n, wobei n = Anzahl regulärer Blendenstufen:
- 50% = 0.3 => 1 Blende, Verlängerungsfaktor 2^1 = 2
- 25% = 0.6 => 2 Blenden, Verlängerungsfaktor 2^2 = 4
- 12.5% = 0.9 => 3 Blenden, Verlängerungsfaktor 2^3 = 8
- 6.25% = 1.2 => 4 Blenden, Verlängerungsfaktor 2^4 = 16
- 3.125% = 1.5 => 5 Blenden, Verlängerungsfaktor 2^5 = 32
- 1.56% = 1.8 => 6 Blenden, Verlängerungsfaktor 2^6 = 64
- 0.1% = 3.0 => 10 Blenden, Verlängerungsfaktor 2^10 = 1024 ~ 1000x
Die Filter gibt es sowohl als Schraub- als auch als Steckfilter. Steckfilter sind im Einsatz deutlich flexibler und schonen das Filtergewinde, sind aber auch deutllich teurer.
Aktuell setze ich Schraubfilter mit einem Durchmesser von 62mm ein. Mit Step-Up-Ring von 49mm und 58mm auf 62mm kann ich sie so mit meinen aktuellen Objektiven einsetzen, ohne mir mehrere Filter zulegen zu müssen.
Zum Teil in Aufnahmen sichtbare Farbstiche sind in der Bildbearbeitung leicht zu entfernen. Damit dies ohne größere Qualitätsverluste funktioniert, sollte im Raw-Format fotografiert werden.
Einsatz von Polfiltern
Es kann mit Polfilter um 2^1 bis 2^2 Blenden ergänzt verlängert werden. Es ergibt sich dann z.B. ein Verlängerungsfaktor von maximal 2^6 + 2^2 = 2^8 = 256.
Berechnungsbeispiel zur Belichtungszeitverlängerung
Vorgabe: ISO 100, Blende 8, Sek. 1/30
Zielbelichtungszeit: Sek. 60
Um auf eine Sekunde Belichtungszeit zu kommen, benötige ich eine Verlängerung um das 30-fache. 60 Sekunden erreiche ich demnach durch Multiplikation 30 * 60 = 1800-fache Verlängerung!
Es ist sofort offensichtlich, dass das nur mit Mühe erreichbar ist. Ich habe die Latte bewusst hoch gelegt, um drei Versuche zur Erreichung dieser Zielbelichtungszeit darzustellen.
Versuch 1: Einsatz Neutraldichtefilter 1.8 (6 Blenden)
1/30 * 2^6 = 1/30 * 64 = 2,13 Sek. - das reicht nicht für 60 Sekunden Belichtungszeit, selbst wenn ich die Blende weit schließe!
Versuch 2: Einsatz Neutraldichtefilter 1.8 + Polfilter
1/30 * (2^6 + 2^1) = 1/30 * 2^7 = 1/30 * 128 = 4,26 Sek. ~ 4,5 Sek.
1/30 * (2^6 + 2^2) = 1/30 * 2^8 = 1/30 * 256 = 8,53 Sek. ~ 9 Sek.
Um ca. 60 Sekunden Belichtungszeit zu erreichen, ist die Blende um drei Stufen auf f/22 zu schließen: f/8: 9 Sek. - f/11: 18 Sek. - f/16: 36 Sek. - f/22: 72 Sek.
Versuch 3: Einsatz Neutraldichtefilter 3.0 (10 Blenden)
1/30 * 2^10 = 1/30 * 1024 = 34,13 Sek.
Um ca. 60 Sekunden Belichtungszeit zu erreichen, ist die Blende um eine Stufe auf f/11 zu schließen. Die Belichtungszeit beträgt dann 68,26 Sekunden.
Um eine passendere Belichtungszeit zu erreichen kann eine Zwischenstufe vor der berechneten Stufe gewählt werden.
Erfahrung sammeln
Die obigen Bildbeispiele zeigen, dass bereits bei moderaten Langzeitbelichtungszeiten wie einer halben oder zwei Sekunden interessante Effekte erzielt werden können. Für viele Anwendungsfälle reichen die max. 30 Sekunden Belichtungszeit des Belichtungsprogramms M aus, so dass man nicht auf das Programm Bulb ausweichen muss. Bewegen sich Menschen durchs Bild, und möchte ich sie unsichtbar machen, muss ich ggf. deutlich länger belichten. Wie lang, hängt von der Geschwindigkeit ab, mit der sie sich "durchs Bild" bewegen.
Dafür, welche Belichtungszeit welchen Effekt hervorruft, hängt maßgeblich von der aktuellen Situation Vorort ab. Wie schnell bewegen sich Objekte und welche Zielbelichtungszeit benötige ich, um den von mir gewünschten Effekt zu erzielen?
Da gibt es kein Patentrezept. Die Devise lautet "Ausprobieren und Erfahrung sammeln". Aus diesen Erfahrungen ein paar Daumenregeln entwickeln. Dokumentieren hilft für die Zukunft. Dann gelingen künftig die Aufnahmen, die ich mir Vorort vorstelle.